Das Märchen vom besorgten Bürger
Oder: Wie Nazis die Mitte kapern
Wir leben in unruhigen Zeiten, täglich kommt auf jede:n von uns eine enorme Datenmenge an Informationen eingeprasselt. Diese sind jedoch nicht immer aus renommierten Quellen, manche sind von unbekannten Journalist:innen, die nach jahrelanger Recherche ihre Ergebnisse einfach so veröffentlichen, andere sind zum Beispiel von Nazis, die sich zum Ziel gemacht haben, Fake News und Angst zu verbreiten. Um Letztere und deren Methoden geht es in diesem Artikel.
Die globale Vernetzung macht vor nichts halt, auch nicht vor der rechtsextremistischen Szene. So ist es wenig verwunderlich, dass diese Szene heutzutage besser vernetzt ist als je zuvor, es ist mit wenigen Mausklicks möglich, Gruppen zu erstellen, die Zuflucht für mehrere tausend Nazis sind. Durch diese Vernetzung untereinander ist es für Nazis auch sehr einfach geworden, andere Gruppen zu übernehmen und ihre Inhalte an unwissende Bürger:innen zu verteilen. Um dieses Vorgehen verständlich darzustellen, hier ein (möglicherweise) fiktives Beispiel.
Es gibt eine Telegram-Gruppe von Eltern deren Kinder auf Schulen in Thüringen gehen. Sie ist dazu gedacht, sich über neue Informationen auszutauschen. Diese Informationen könnten neue Lehrpläne sein oder Änderungen am Essen der Kantine, alles recht harmlos. Seit ein paar Tagen gibt es aber ein Streitthema in der Gruppe, das mehr Zündstoff liefert: Maskenpflicht für Schüler:innen im Unterricht. Ein besorgter Vater, der oft auf Facebook unterwegs ist, sendet zu dem Thema einen Artikel von einer Website rein. Der Artikel behauptet, es sei schädlich und sogar tödlich für Schüler:innen Masken im Unterricht zu tragen. Niemand widerspricht dem Artikel, aber immer mehr Eltern bekommen Angst. In den nächsten Tagen treten der Gruppe immer mehr Unbekannte bei, und mit den Beitritten kommen auch immer mehr Informationen und “Fakten”, die den Eltern Angst um ihre Kinder machen. Das Hinterfragen der Richtigkeit dieser Informationen nimmt von Tag zu Tag ab, schließlich war bisher ja immer alles richtig was in der Gruppe gepostet wurde.
So oder so ähnlich werden immer mehr Gruppen übernommen oder erstellt. Das ist nur ein fiktives Beispiel, solche Vorgehensweisen werden jedoch immer häufiger von Nazis angewendet. Am Anfang sind es nur Artikel, die die Gesamtsituation kritisch betrachten, am Ende jedoch immer rassistische und/oder antisemitische Hetze, gemischt mit Fake News.
Die Gruppe „Eltern stehen auf“ und ihre zahlreichen Untergruppen sind da ein eindrucksvolles Beispiel, wie sich rechte Propaganda verbreitet. Alle Gruppen haben als eine harmlose Sammlung von Bürger:innen mit berechtigten Ängsten und Sorgen über die Pandemie und Maßnahmen zu deren Eindämmung zusammengefunden. So weit so gut. Dann kamen jedoch die Nazis, natürlich ebenfalls getarnt als „besorgte Bürger:innen“, und mit ihnen die Fake News. Heute gibt es fast nur noch Fake News in diesen Gruppen.
Doch woher kommen die Fake News und diese Hetze?
Ein großer Teil sind unprofessionell erstellte Bilder. Auch wenn diese weder Vertrauenswürdig sind noch schön aussehen eignen sie sich gut um Fake News zu verbreiten. Darin wird eine schlimme Nachricht als Fakt dargestellt, wie zum Beispiel „80 Prozent aller Pinguine sterben mit dem Zweck gegessen zu werden“. Die armen Pinguine. Diese Nachricht löst natürlich einige Denkprozesse aus, egal ob sie stimmt, mit einer Quelle belegt ist oder schlicht erfunden. Der andere und sehr viel gefährlichere Teil besteht aus rechten Ideenschmieden, sogenannten Think Tanks. In der Öffentlichkeit bezeichnen sie sich als „alternative Medien“ und sehen sich als Retter:innen der Wahrheit. Auf ihren Seiten produzieren sie professionell aussehende Inhalte und verlinken sich oft untereinander als Quellen, ohne einen Fokus darauf zu haben ob es tatsächlich stimmt. Es soll sich gut anhören, glaubhaft lesen und Emotionen wie Angst und Wut auslösen. Namhafte Beispiele sind „1 Prozent“, Blaue Post (AfD), Compact (Jürgen Elsässer), Kopp-Verlag und Junge Freiheit. Alle sind als Nachrichten und als aufklärerische Seiten getarnt, sie sind darauf ausgelegt, Menschen zu beeinflussen und Stück für Stück auf die rechte Seite zu ziehen.
Es sind jedes Mal fast die gleichen Aussagen, egal zu welchem Thema. Es sind immer „die da oben“. Wer die genau sind und was die nun genau machen bleibt meist ein Geheimnis. Es ist ja immer noch eine Verschwörung. Aber eins ist für die Autor:innen der Seiten klar: Die da oben müssen alles Jüd:innen sein. Angeblich weil sie uns alle vernichten wollen. Spätestens ab da kommt dann auch schon der Antisemitismus ins Spiel, in Form der großen Weltverschwörung, dem „Great Reset“.
Infobox zum „Great Reset“
Eigentlich sollte der „Great Reset“ eine Initiative des Weltwirtschaftsforums (WEF) in Davos sein, um die globale Wirtschaft nach der Corona-Pandemie umzugestalten und nachhaltiger und gerechter zu machen. „Wir haben nur einen Planeten, und wir wissen, dass der Klimawandel die nächste globale Katastrophe mit noch dramatischeren Folgen für die Menschheit sein könnte“, sagte der WEF-Gründer Klaus Schwab im Juni 2020 laut einer Pressemitteilung des Weltwirtschaftsforums.
Was Verschwörungserzähler:innen daraus machten könnt ihr hier lesen.
Wenn die Rädelsführer:innen dieser Übernahmen auf keine Gegenwehr in den Gruppen stoßen, ist die Übernahme perfekt gelungen, es werden immer mehr Verschwörungserzählungen aus rechten Think Tanks wie dem von Götz Kubitscheks „Institut für Staatspolitik“ gepostet. Gleichzeitig werden alle anderen Medien als „Lügenpresse“ niedergemacht. Da beginnt dann auch der Punkt, wo kritische Stimmen, wenn es sie gibt, aus der Gruppe gedrängt werden. Denn wer nicht mitzieht ist ein „Antifant“, „Systemhure“, „Merkel-Jünger“, „Vaterlandsverräter“ und so weiter. Spätestens jetzt sind die Menschen, die damit kein Problem haben, dass andere Meinungen nur Lügen sein können, so indoktriniert, dass sie für die Wahrheit nicht mehr zugänglich sind.
Was kann man da tun?
Nicht viel, leider. Die Mischung aus Hetze, Fake News und Halbwahrheiten ist so perfide und manipulativ, dass – einmal in dem Kreislauf drin – kaum ein Entkommen ist. Der Hass, der dadurch entsteht, wird dann auch ins reale Leben getragen. Da werden Brandbriefe an Amtspersonen, Einrichtungen und Schulen geschrieben. Lehrer:innen und andere Menschen werden mittlerweile nicht nur verbal angegriffen. Antisemitische Aktionen wie das Schuhe ablegen vor Rathäusern (Analogie zu Auschwitz) oder Slogans wie „Impfen macht frei“ (adaptiert von „Arbeit macht frei“ von den Konzentrationslagern der Nazis) finden regen Anklang. Viele sehen auch den Zusammenhang nicht oder wollen ihn nicht sehen. Man kann nur immer wieder versuchen, mit Logik und Fakten Überzeugungsarbeit zu leisten. Es ist mühsam und oft aussichtslos, aber manchmal kann man einen kleinen Sieg verbuchen.
Das beste Mittel ist das direkte Gespräch mit den Menschen. Am besten einzeln und nicht in der Gruppe, da hat man keine Chance. Also wenn ihr Kolleg:innen, Freunde oder Familie habt, die euch solche Fake News zeigen, versucht ihnen zu erklären warum diese nicht der Wahrheit entsprechen und welche Methoden dahinter stecken.
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